Shirako: die befremdlichste Speise, die ich je gegessen habe

japan1

Manch kulinarisches Highlight erfordert Abenteuergeist, echte Neugier und eine hohe Toleranz unserer Zunge. In jedem Land der Erde gibt es die Möglichkeit auf regionale Speisen und Delikatessen zurückzugreifen, was ich persönlich auch begeistert tue. Ich hatte bereits das Vergnügen, frisch gefangene und rohe Seeigel in Brasilien, Schafshirn in Marokko, geröstete Heuschrecken in Mexico, Mopane-Würmer in Südafrika, ein im Lehmofen zubereitetes Cuy (Meerschweinchen) in Peru, nestwarme Möweneier auf den Malediven, Froschschenkel im Elsass, gegrillte Schlange in Thailand und würzigen Milbenkäse in Deutschland (inklusive Mikroskop zum betrachten der Organismen) probieren zu dürfen.

Doch das seltsamste Gericht bekam ich vor ein paar Wochen in Tokio serviert:
Shirako (白子  ‚weiße Kinder‘) = Fischmilch

Spätestens seit der zauberhaften Hommage Jiro dreams of Sushi wissen wir, dass das ernüchternde Angebot deutscher Sushi-Buden rein gar nichts mit der original japanischen Kochkunst zu tun hat. Geschätzt gibt es mehr als 5.000 Sushi-Restaurants in Tokio. Selbst vor Ort sind die wirklich guten und authentischen Restaurants schwer zu finden: Von der Fastfood Restaurantkette mit Förderbändern um den Tresen über kleine Ein-Mann oder Familienbetriebe bis hin zum Michelin-besternten Gourmettempel. Schon allein deshalb kann ich keine allgemein gültigen Empfehlungen abgeben, sondern nur über die Restaurants berichten, die ich bereits besucht habe. (siehe auch → Bericht vom Tsukiji Fischmarkt Tokyo von 2012)

japan2

So wie wir ausländischen Gästen stolz die unzähligen Brot-, Wurst-, Schinken-, Bier- und Weinspezialitäten unseres Landes vorstellen, zeigen die Japaner ein ähnlich großes Vergnügen, wenn sie europäische Gäste in ein Ryokan (traditionelles Gästehaus) oder ein Onsen (Badehaus mit heißen Quellen) einladen, oder mit Sake und Sushi verwöhnen dürfen. Ich hatte dieses Mal das große Glück von japanischen Freunden ausgeführt zu werden, die in der Foodbranche arbeiten und sich kulinarisch bestens auskennen. Das kleine holzgetäfelte Restaurant mit nur ca. 15 Sitzplätzen war überwiegend von japanischen Geschäftsleuten besucht (keine Touristen) und bis auf den letzten Platz besetzt.

japan4

Zur Begrüßung gab es heiße Handtücher und grünen Tee. Dann folgte Misosuppe und eine zweistündige Chef’s Selection, d.h. eine High-End Auswahl mit rohem Fisch und Meeresfrüchten, die frisch vor unseren Augen zubereitet wurden.

  • Rosa Zwerggarnele
  • Botan Garnele
  • Hokkaido Garnele
  • Graue Garnele
  • Schneekrabbe
  • Oktopus
  • Jakobsmuschel
  • drei verschiedene Muscheln (orange, rot, weiß)
  • Abalone-Schnecken / Seeohren
  • Seeigel
  • fetter Lachs und Lachseier
  • zweierlei Thunfisch (fett und mager)
  • Makrele
  • Hering
  • Tamago / gestocktes Ei
  • und als Höhepunkt und mit laut bewundernden ahhs und ohhs meiner Tresennachbarn begleitet: leicht gekochtes SHIRAKO / Dorsch-Sperma

Außer den kryptischen Hinweisen meiner Gastgeber es handle sich um –  MILT, eine große Spezialität, nur zu bestimmten Jahreszeiten erhältlich, sündhaft teuer, sehr beliebt – konnte ich im Restaurant nichts weiter über diese Delikatesse herausfinden. Die Textur war angenehm crèmig, ähnlich wie Pudding oder wolkiges Kalbshirn, aber nicht unangenehm glibberig. Der Geschmack erinnerte entfernt an Büffelmozzarella und war doch einzigartig mit etwas Süße und leicht salzigem Meeraroma. Jedenfalls spannend und delikat, wie auch alles andere zuvor: Der wunderbare und unmerklich gesäuerte Reis, die perfekte Aromenbalance zwischen Fisch und Reis. die würzige Misosuppe, der tiefrote, butterzarte Thunfisch, der nussig-süße Seeigel oder die fleischigen Kammmuscheln. Dies alles hatte rein gar nichts mit dem faden 0-8-15 Sushi zu tun, die man an Flughäfen, in Supermärkten oder in japanischen Restaurants „german style“ bei uns angeboten bekommt.

japan3

japan5

Zugegeben – ein wenig mulmig wurde mir dann aber schon, als ich später googelte, dass es sich bei der Delikatesse um Fischsperma gehandelt hatte. Andererseits muss man aber feststellen: In Anbetracht der Popularität von Kaviar, nicht nur in Japan sondern weltweit, ist es eigentlich gar nicht so abwegig, auch das männliche Pendant zu den Fischeiern zu essen…

Tipps rund um den Fischmarkt:

In den Gassen und Seitenstraßen rund um den Tsukiji Fischmarkt gibt es viele kleine Bars, viele davon ohne eigene Website. Grundsätzlich gilt: Diejenigen, die zwischen 5 und 7 Uhr morgens geöffnet haben und von Markthändlern besucht werden sind NIE wirklich schlecht. Außerdem einen Versuch wert:
→ Tsukiji Sushisay
Sushidai
Karte
→ Tsukiji Fischmarkt

japan6

japan8

Restaurantempfehlungen Tokyo:

→ Ichibancho Teruya
Tsukiji Sushisay Honten
→ Jiro
Jiro Roppongi Hills
12 weitere Sushi Empfehlungen

 

Nota Bene: Während des Rückflugs nach Frankfurt serviert die Crew an Bord ein Abendessen, das den kulinarischen und kulturellen Unterschied zwischen Japan und Deutschland deutlicher nicht machen könnte. Quark und Wurst vs. Pseudo-Sushi an Plastikpalmenblatt. Ob man außerhalb von Japan überhaupt Sushi essen sollte?! 

japan7

Es liegen noch keine Kommentare vor

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht!

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>