Abschied von der Corviglia 

50 Jahre ist es her, dass Hartly Mathis das Bergrestaurant „La Marmite“ auf dem St. Moritzer Hausberg eröffnete. Nun schließt es für immer seine Pforten.

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Was als typische Selbstbedienungs-Gastronomie und Cafeteria für Skifahrer begann, entwickelte sich in den 70er Jahren zu einem Schlemmertempel für illustre Gäste, die St. Moritz seinen unvergleichlichen Ruf einbrachten. Hollywoodprominez wie Rock Hudson oder Lex Barker gaben sich die Klinke in die Hand, ebenso wie prominente Stars  jener Zeit, etwa Herbert von Karajan und Curd Jürgens oder der Jet Set um Gunter Sachs und die Reeder Onassis und Niarchos. Und mittendrin ein hungriges, 10-jähriges Kerlchen mit seinen Eltern: Ich!

Damals gab es weder den heutigen Promi-Kult, keine Sicherheitsbedenken und auch weniger abgehobene Preise und so saßen Promis, Normalos und Skilehrer eng gedrängt nebeneinander, um an langen Tischen das eine oder andere Fläschchen Veltliner, das ausgezeichnete Essen und die fantastische Aussicht auf die Berge des Oberengadins zu genießen. Das „Marmite“ (franz. für „Kochtopf“) wurde zur Blaupause einer gehobenen Berggastronomie, die seither kaum je übertroffen, aber in vielen Wintersportorten kopiert wurde.

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© Fotos: MATHIS FOOD AFFAIRS

Seit jener Zeit durfte ich so manchen Winter bei Familie Mathis zu Gast sein und erlebte in diesen Jahren meine kulinarische Erweckung. Während im vorderen Self-Service-Bereich Bratwurst, Pommes und Spagetti Bolognese ausgegeben wurden, servierte man im weiter hinten gelegenen Restaurant Delikatessen, die ich bis dahin noch nie zuvor gesehen oder gegessen hatte: Zwiebelsuppe, Hirschgeschnetzeltes mit Polenta, Carpaccio mit Trüffel, Graved Lachs, Brioche mit Gänseleber gefüllt, Vacherin Mont d’Or und die womöglich besten Rösti in der gesamten Schweiz. Das „La Marmite“ prägte mich und setzte damals meine kulinarischen Standards. Ein ganz besonderer Höhepunkt war das mitten im Raum üppig arrangierte Buffet, auf dem nicht nur verschiedene Enten- und Gänseleberterrinen, Lachsseiten und Kaviar präsentiert wurden, sondern auch exotische Obstsalate, Mousse au Chocolat, Crème Caramel, Pavlova, Bread and Butter Pudding und ein riesiges Patisserie-Angebot. Unvergessen ist auch der Vacherin mit Kastanienpüree, Baiser, Himbeeren und Zabaione…

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© Foto: Michael Wissing

Anfang der 90er Jahre erfolgte ein Generationswechsel und Harty Mathis übergab die Leitung an seinen Sohn Reto. Der setzte nicht nur die Tradition des alpinen Gourmet-Restaurants erfolgreich fort, sondern erweiterte das Angebot unter dem Begriff MATHIS FOOD AFFAIRS zu einem Imperium mit acht verschiedenen Gastronomiebetrieben auf 2.486 m.ü.M. Unter seiner Leitung entstand das, was man heute als „Contemporary Alpine Cuisine“ bezeichnet. Daneben sorgte Reto Mathis stets für außergewöhnliche Aktionen: Er organisierte legendäre Feste und Parties, ließ Udo Jürgens samt Glasflügel einschweben, erfand das Champagner-Säbeldiplom, hievte eine zehn Meter lange Yacht auf den Berg um den höchsten Yachtcub der Welt zu gründen, eröffnete Bars, Lounges und (für eine Saison) den höchstgelegenen Mc Donald’s Europas.

Ski statt Pommes: MCD auf dem Hausberg von St. Moritz
Ski statt Pommes: MCD auf dem Hausberg von St. Moritz

Damit ist jetzt Schluss. Was im letzten Jahrhundert noch als Symbol für Jet-Set-Lifestyle und Joie de Vivre galt, wird heute of als unzeitgemäße Luxus-Völlerei angesehen. Andere Gründe für den Rückzug von der Corviglia dürften vor allem die ökologischen Veränderungen des Wintersports, eine starke Saisonabhängigkeit, aber auch veränderten Ansprüche der internationalen Gäste sein. Mit Champagner, Lachs oder Kaviar allein lockt man heute kaum noch Gourmets oder Prominenz auf den Berg.

Deshalb ist dies der richtige Moment für eine Veränderung. Das „La Marmite“ schließt seine Pforten, aber Reto Mathis wird der Gastronomie auch weiterhin seinen kreativen Stempel aufdrücken: In der ehemaligen Zuberhütte auf Salastrains eröffnet er demnächst den Cha-Cha Club, ein Restaurant mit Clubkonzept und Kochschule, im Ort selbst betreibt er mehrere Szene-Bars, Restaurants sowie den Landgasthof Meierei und ein Franchise-Konzept mit Flammkuchen befindet sich für die gesamte Schweiz im Aufbau.

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Aus gegebenen Anlass hatte sich am vergangenen Wochenende bei mir in Heidelberg eine lustige Gruppe zusammengefunden: Befreundete Gastronomen aus dem argentinischen Bariloche (Partnerstadt von St. Moritz), langjährige Gäste des ehemaligen Hotels Chantarella, Freunde und „Corviglianer“, die sich seit den Skischultagen aus den 70er und 80er Jahren nicht aus den Augen verloren haben und bis heute immer wieder ins Engadin zurückkehren. Gemeinsam haben wir die Erinnerungen an das „La Marmite“ noch einmal aufleben lassen und die Klassiker aus 50 Jahren – hier ein Auszug der Speisekarte ⬇︎ – nachgekocht. Nachfolgend ein paar Impressionen vom Kochevent:

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Zum Auftakt den legendären Trüffel-Flammkuchen mit Trüffelcrème und Fontinakäse
Corviglia-Schnee (gepresste Kartoffeln mit Butterflocken, Sauerrahm und Kaviar)
Corviglia-Schnee (gepresste Kartoffeln mit Butterflocken, Sauerrahm und Kaviar)
Carrousel mit Gänse- und Entenleber, Hummer, Graved Lachs, geräuchertem Wildlachs, Sahnemeerrettich und Feigen-Apfelsalat
Carrousel mit Gänse- und Entenleber, Hummer, Graved Lachs, geräuchertem Wildlachs, Sahnemeerrettich und Feigen-Apfelsalat
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Feigensalat mit Äpfeln, Portwein, Joghurt und Curry
Das Original - seit den 70er Jahren unverändert
Das Original – seit den 70er Jahren unverändert © Foto: MATHIS FOOD AFFAIRS

Der Familie Mathis an dieser Stelle herzlichen Dank für die vielen genussvollen Stunden auf „ihrer“ Corviglia. Es war ein großer Spaß!

Das Abschiedsmenü Winter 2017 – noch einmal die Klassiker

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3 Kommentare
  1. Wir, eine übermütige kleine Schar Münchner Skifahrer, kehrten in den Jahren um 1979/80 regelmäßig dort nach dem Skifahren ein, um die Fischköstlichkeiten und guten Weine zu genießen und zwar nicht, weil es als schick galt. Den Rest Abfahrt ins Tal mussten wir weinselig irgendwie bewältigen, weil die Bahn längst nicht mehr fuhr!Eine tolle Erinnerung!

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