Warmfleisch? Warmfleisch!

Lobgesang auf eine kleine Metzgerei im Kraichgau, die ein wenig an das berühmte Dorf der Gallier erinnert, die hartnäckig Widerstand leisten… na, Sie wissen schon.

Die „Umsetzung der EU-Hygieneregeln im Fleischerhandwerk“ – allein diese Bezeichnung erstickt jegliche Sinnlichkeit im Kern – bereitet den meisten Metzgern keine Schwierigkeiten: Sie ist schlicht zu aufwendig. Also verzichtet man darauf. Das Schlachten benötigt Platz, Zeit und bindet Kapital und Personal. Wer vor den einzelnen Arbeitsschritten wie Kennzeichnen, Betäuben, Entbluten, Enthaaren, Ausnehmen, Spalten, Protokollieren und Dokumentieren des Schlachtkörpers nicht zurückschreckt, dem gibt die EU Verordnung 853/2004 und die damit verbundene Anschaffung von tierschutzgerechten Betäubungsanlagen, Wascheinrichtungen, Desinfektionsanlagen und Sterilisationsbecken den Rest. Schlachthygiene ist schließlich ein ernstes Thema und wo kämen wir hin, wenn bei uns noch dem Borstenvieh im Hinterhof die Kehle aufgeschlitzt würde wie vor 1970? …

Also lassen die meisten Metzgereien lieber schlachten und beziehen die zerlegten Fleischteile (und die meisten Würste) fix und fertig von der Großschlachterei oder vom Handel. Nur noch ein Viertel aller Metzgereien in Deutschland schlachtet selbst (Fleischerhandwerk / AFZ Journal 12/2006) Kleine Schlachthäuser  gibt es nur noch ganz wenige. Das Resultat erleben wir jedes Mal im Supermarkt, wo steril abgepacktes Fleisch und Wurstscheiben in den Kühlregalen liegen.

Einer, der sich mit dem Thema besonders gut auskennt ist René Ohr aus Dühren bei Sinsheim. Längst hat er verstanden, dass Stress bei Transport und Schlachtung die Qualität kaputt macht. In seiner Metzgerei findet man deshalb nur regionale Produkte und eine Fleischqualität, die man lange suchen muss. Zwar schlachtet auch er nicht selbst (noch nicht!), doch René Ohr bezieht sein Fleisch direkt aus der Umgebung und von kleinen, handwerklich arbeitenden Betrieben, wo die Tiere ganz behutsam und ohne Stress geschlachtet werden. Der Vorteil: In den Metzgerei Ohr werden alle Fleischteile verwertet und es gibt auch unbekannte Stücke wie Pavé, Bavette oder Hochrückensteak – köstliche Stücke, die keiner mehr kennt. Auch der luftgetrocknete Knochenschinken, die Salamis mit Fenchel oder Haselnüssen, die spanischen Chorizos und der hausgemachte Lardo mit Kräutern sind umwerfend gut. Das hat sich schnell herumgesprochen und zwischen Heilbronn und Mannheim gibt es immer mehr Genießer, die sich in Einkaufsgemeinschaften zusammenschließen und nach Dühren fahren (fast hätte ich „pilgern“ geschrieben 😉 ).

Vor wenigen Wochen hat René Ohr nun sein neuestes Projekt vorgestellt: Warmfleisch. Anderswo vergessen oder ganz ausgestorben, in der kleinen Metzgerei im Kraichgau wird das Verfahren wieder gepflegt. Wie früher bei der Hausschlachtung wird das noch warme Fleisch sofort nach der stressfreien Schlachtung, d.h. innerhalb von 2 Stunden, angeliefert und verarbeitet. Das ist die einzige Möglichkeit, um Wurst ohne Verwendung von Citrat oder Phosphat zu machen. „Ja, lohnt sich denn soviel Aufwand?“ fragen die Kollegen aus dem Umland, schütteln verständnislos den Kopf und bestellen weiterhin beim Großhandel fades Fleisch aus Massentierhaltung und Geflügel aus den Batterien. Doch Meister Ohr setzt auch in Zukunft auf ökologische Qualität: „Da ist alles drin, was schmeckt, und nichts, was nicht hineingehört“. Unnötige Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker, Lactose, Gluten oder Emuglatoren findet man in seinen Schinken und Würsten nicht.

Mein Tipp: Wann immer Sie auf der A6 zwischen Walldorf und Heilbronn sind, nehmen Sie die Abfahrt Sinsheim und fahren Sie die 3 Minuten von der Autobahn nach Dühren. Es lohnt sich!

Ausführliche Infos zum Warmfleisch-Projekt als PDF

Metzgerei René Ohr, Karlsruher Str. 36, 74889 Sinsheim-Dühren
Telefon: 0 72 61/ 97 99 09 | E-Mail: info@metzgerei-ohr.de
Homepage

4 Kommentare
  1. Treffender könnte die Beschreibung dieser wunderbaren Metzgerei nicht sein!

    Meine Frau fährt täglich auf dem Weg zur Arbeit daran vorbei und kauft seit Jahren regelmässig dort ein.
    Wir essen wenig Fleisch, aber wenn, dann nur von dort. Was gibt es besseres als so ein langsam geschmotes Bavette ….

    Als Italien Fans lieben wir seine Fenchelsalami und ganz besonders den wunderbaren Lardo.
    Wir machen sehr viel, um solche genialen Handwerker in der Region zu unterstützen und hoffen inständig, dass viele andere dem Discount- und Supermarktwahn widerstehen können und wollen…

  2. Wunderbar!

    Wir hatten vor einiger Zeit die Gelegenheit, den Betrieb zu besichtigen; beieindruckend mit viel Ehre Herr Ohr sein Handwerk betreibt.

    Er ist ein begnadeter „Revoluzzer“ 🙂

    Schade nur, dass wir so weit weg wohnen….

  3. Hahh! Der Herr Ohr!
    Grad gestern kamen Fenchel-und Haselnusssalami in den Korb. Nur den luftgetrockneten, am Knochen gereiften Schinken gibt es leider erst im Oktober wieder. Aber hey, so ist das nun mal: Es gibt nicht immer alles und dann darf man sich auch ganz besonders freuen.

    Morgen zerlegt er seine zig Wochen gereiften Rinderrücken, ich freu mich 🙂

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